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Goethes Erben

Goethes Erben haben immer viel Aufmerksamkeit erregt. Entweder sie werden geliebt oder gehaßt. Ein dazwischen gibt es kaum. Anlaß genug zu einem etwas anderem Interview mit Oswald Henke.

Astan: Meiner Meinung nach seid ihr mit "Schach..." in neue musikalische Welten vorgestoßen. Ihr seid nun eher im Avantgarde denn im Gothic oder Wave Bereich zu plazieren. Wo sieht O.H. die Erben. Obwohl, ist Plazierung nicht gleich Reglementierung ?

Oswald Henke: Goethes Erben haben sich von Anfang an als Musiktheater verstanden. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht die deutsche Sprache. Durch die Inhalte unserer Texte wurden wir sofort in eine Schublade gesteckt, eben in die, die das Denkmuster gewisser Schreiberlinge davor bewahrt, ihren Horizont irgendwann einmal zu erweitern. Zwischen dem Debütalbum und "Schach..." liegt eine Zeitspanne in der wir uns entwickelt haben. Warum muß man immer alles einordnen, bevor man es begreifen kann. Schubladen werden oft dazu benutzt, um sich von Dingen zu befreien, mit denen man sich nicht auseinandersetzen möchte.

Astan: Sprachlicher Ausdruck ist Euch ja sehr wichtig. Wie gelangt man an diese Art zu singen? Was liest Du? Welche Filme, Bücher, Musik bevorzugst Du ?

O. H.: Die deutsche Sprache ist sehr ausdrucksstark, ich versuche nur, sie korrekt auszusprechen. Ich lese sehr wenig, die beiden letzten Filme, die ich gesehen habe waren "Crash" von David Cronenberg und "Star Trek - Erster Kontakt". Ich höre unterschiedliche Musikgattungen, Filmmusiken, Klassik, Wave, Gothic, 80er Jahre Pop etc.

Astan: Ihr seid vielfach angefeindet und verlacht worden, gerade weil Sprache und Inhalt eine so große Rolle bei euch spielen. Gab es oft Wut und Frust damals, steht an deren Stelle heute Genugtuung. Gerade weil ihr hordenweise Plagiate nach euch gezogen habt? Was denkt ihr über diese Nachahmer?

O.H.: In der Zeit als wir "Tote Augen sehen Leben" aufnahmen, haben Mindy und ich uns ernsthaft überlegt, Goethes Erben nur noch im Proberaum weiterexistieren zu lassen. Die teilweise sehr polemische Art und Weise in der wir kommentiert und rezensiert wurden, tat oft sehr weh. Seit der Veröffentlichung des blauen Albums sind die Lästerzungen und Lachmäuler weniger geworden, aber unsachliche Kritik verursacht noch immer Ärger und Magenschmerzen. Manche Menschen scheinen G.E. geradezu zu hassen. Ich frage mich, ob es nicht wichtigere Dinge gibt, als sich über Musik soweit aufzuregen, daß man ihr gegenüber Haß entwickelt. Um so erfreulicher, wenn jetzt Teile der Presse uns jetzt wohlwollender gegenüberstehen. Ich finde es ehrt uns, wenn andere Gruppen sich dadurch inspiriert sehen. Solange eine Gruppe noch eigenständige Ideen in ihre künstlerische Arbeit einbringt, finde ich nichts Schlimmes daran, sich an sogenannten Vorbildern zu orientieren.

Astan: Eure Konzerte haben auf mich immer wie eine Performance gewirkt. In den 70ern sprach man von "Rocktheater". Siehst du das als "Entertainment" für den Besucher? Was bedeutet dir die Bühnenarbeit?

O.H.: Goethes Erben ist eine Art Musiktheater. Wir versuchen dem Besucher auch optisch etwas zu bieten. Wir inszenieren die Stücke, binden sie in eine Handlung ein. "Schach..." zum Beispiel erzählt die Geschichte einer Suche. Ein Mensch gelangweilt von seiner farblosen, schwarz-weißen Umgebung begibt sich auf die Suche nach Gefühlen und Farben... . Mit jedem neuentdeckten Gefühl findet er auch die Farben wieder, die in seiner ursprünglichen Welt verlorengegangen sind. Ebenso waren "Blau-Rebell" oder das "Niemandsland" Musiktheaterstücke. Auch zu Zeiten der Trilogie haben wir die Stücke in eine Rahmenhandlung eingebunden. Einzig bei Festivals haben wir Probleme eine zusammenhängende Handlung erzählen zu können. So spielen wir meist ein Best of-Programm. Da dies nicht unser Ziel ist spielen wir nur sehr selten Festivals. Ich kann unser Publikum verstehen, wenn es ältere Stücke hören möchte. Solange wir nicht die Möglichkeit haben in Theatern zu spielen müssen wir einen Kompromiß eingehen. Das tun wir auch gerne, schließlich spielen wir auch liebend gern ältere Erben Stücke.

Astan: Schmerz, innere Zerissenheit und Wut scheinen deine Texte und deine Musik zu prägen. In deinem vor-erblichen Leben warst du als Krankenpfleger tätig. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dieser Beruf hat viel mit obigen Begriffen zu tun. War der Beruf eine Inspiration ?

O.H.: In der Zeit in der die Trilogie entstand, habe ich als Krankenpfleger gearbeitet, und mit Sicherheit spiegelt sich das Erlebte in den Texten wieder. Ich wurde mit 17 Jahren erstmals mit dem Tod konfrontiert und bin mehr oder weniger beim Betreten eines Krankenzimmers über einen toten Menschen gestolpert. In den folgenden Jahren habe ich viel Leid, Verzweiflung und auch Sterben erlebt. Durch das Schreiben von Texten und Musik habe ich versucht, das Erlebte zu verarbeiten. Krankenpfleger ist ein wunderschöner Beruf, aber er geht nicht nur körperlich, sondern auch geistig an die Substanz. Das Stück "5 Jahre" entstand z.B. zu einer Zeit, in der ich auf einer geschlossenen psychiatrischen Station gearbeitet habe. In diesem Stück habe ich keinen Tatsachenbericht geschildert, sondern nur versucht, das Gefühl der Ohnmacht auszudrücken, wenn man aufgrund einer psychischen Erkrankung eingesperrt wird. Welcher Normalbürger weiß schon, was es bedeutet, an einer Psychose zu leiden, eine manische oder depressive Periode zu durchleben. In "Koma" versuche ich auszudrücken, was es bedeutet, in seinem eigenen Körper gefangen zu sein, ohne die Möglichkeit, sich anderen mitteilen zu können. Gerade der Umstand, daß es sich um äußerst unangenehme Themen handelte, hat schließlich dazu geführt, daß Goethes Erben für manche zu einem roten Tuch geworden ist. G.E. sind in Worte gefaßte Gefühlswelten, die man nur dann verstehen kann, wenn man sich auch mit den Stücken beschäftigt. Ohne Zeit und Phantasie ist es unmöglich, sich mit Goethes Erben auseinanderzusetzen.

Astan: "Zählt kein Verstand, nur noch die Gier". Viele Texte auf "Schach..." können so verstanden werden, daß du nicht unbedingt sonderlich von der dich umgebenden Welt angetan bist. Fühlst du dich mitunter wie ein Rufer in der Wüste, wie jemand der durch Stumpfheit/Kälte der Mitmenschen zu erfrieren droht ? Oder ist es vielmehr so, daß du deine Wut, Enttäuschung und deine Emotionen in die Welt rausschreist?

O.H.: Wenn ich den Fernseher einschalte, Zeitung lese oder mich mit anderen Menschen unterhalte, präsentiert sich mir die Welt nicht als pastellfarbenes Traumland, sondern größtenteils grau und trist oder extrem grell und aufgesetzt. Der Umgang mit Gefühlen ist in unserer Welt irgendwie verlorengegangen und auch mir gelingt es eigentlich nur innerhalb von G.E. mit meinen Gefühlen so umzugehen, wie ich es gerne möchte. Privat bin ich sehr kopflastig und Freundschaften/Beziehungen aufzubauen, gestaltet sich immer als langwierige Angelegenheit.

Astan: Was denkst du wirst du in 10-15 Jahren tun? Angst vor dem Alter, dem Verfall ? I hope I die before I get old ? Und hältst du ein danach für möglich? Beschäftigst du dich mit religiösen Auffassungen vom Tod und dem "Danach"? Wenn überhaupt, was für eine Art Gottesbild/ mystische Weltanschauung hast du?

O.H.: Was in 10-15 Jahren ist, darüber will ich jetzt lieber nicht nachdenken. Ich ziehe es vor, über kurze Zeitspannen zu planen. Wer hat keine Angst vor Alter, Krankheit und schließlich vor dem Tod ? Ich möchte nicht alt und krank sterben. Ich möchte so lange leben, wie ich einen Sinn sehe, und sei es nur, um dummen ignoranten Menschen Anlaß zur Kritik zu geben. Warum diesen Menschen diese Welt überlassen ? Ich glaube zwar an eine Existenz nach dem Zeitpunkt Tod, aber ob dies das Paradies sein wird, wage ich zu bezweifeln. Manche Menschen leben in ihren Kindern weiter, amdere durch künstlerische Arbeit. Ich glaube aber fest an das Positive als den richtigen Weg, auch wenn er mit Sicherheit der steinigere ist. Die Natur verbirgt oftmals das Schöne hinter einer häßlichen Fassade, warum nicht auch den Sinn des Lebens?

Astan: Hast Du schon einmal daran gedacht ein Buch, einen Gedichtband zu veröffentlichen? Bist du außerhalb von Text und Musik künstlerisch tätig?

O.H.: Ich beabsichtige seit Langem, alle Goethes Erben Texte in Form eines Buches zu veröffentlichen, doch bislang scheiterte dieses Vorhaben am Geld. Zur Zeit schreibe ich zusammen mit Juliana Ihl ein Theaterstück, aber irgendwie hat alles was ich mache mit Worten oder Musik zu tun.

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